Der Becken-Shift – elegante Hüftbewegung mit Tücken

Kennen Sie die Shift-Taste auf der Tastatur ihres Computers?
Wenn man sie betätigt > > > , rückt Ihr Cursor ein gutes Stückchen weiter nach rechts.

Ihr Becken hat keine solche Taste. Aber manchmal ist es dennoch Meister dieser Bewegung: Wenn Sie einen Becken-Shift vollführen, rückt das Becken beim Gehen ebenfalls ein kleines Stückchen nach rechts oder links aus der Mitte heraus.

Das sieht an und für sich sehr elegant aus und verleiht dem Gangbild eine gute Portion Weichheit und Geschmeidigkeit. Auf dem ersten Blick wäre also nichts dagegen einzuwenden.

Jedoch handelt es sich beim Becken um den Körperschwerpunkt.
Der Körperschwerpunkt bezeichnet jenen Punkt im Körper, an dem sich alle Massenanteile die Waage halten. Alle äußeren Kräfte die auf den Körper einwirken, beziehen sich auf diesen Punkt. Alle Achsen treffen hier zusammen.

Der Köperschwerpunkt (Zeichnung von Shinya Morita)

Der Köperschwerpunkt (Zeichnung: Shinya Morita)

 

Wenn dieser Körperschwerpunkt zu „shiften“ beginnt, also während des Gehens von links nach rechts rückt, überträgt sich diese Bewegung unweigerlich auf Ihre Füße. Ihre Füße beginnen zu wackeln, werden instabil und es entstehen über die Jahre Überlastungserscheinungen wie Hallux valgus, Hallux rigidus oder Sehnenansatz-Probleme am Trochanter Major.

 

Selbsterfahrung: Schwankender Schwerpunkt

Habe Sie schon einmal beim Gehen ein Kind auf Ihren Schultern getragen?
Wenn das Kind auf den Schultern in seiner Mitte bleibt, ist es kein Problem mit diesem erhöhten Schwerpunkt stabil zu gehen. Wenn das Kind auf ihren Schultern sich aber von links nach rechts bewegt, weil es zum Beispiel mit den Händen etwas fassen möchte, wird es problematisch. Um nicht zu stürzen müssen Sie den Schwankungen einiges an Kraft entgegensetzen oder sogar einen Ausfallschritt machen.
Genau gleich ergeht es Ihren Füßen, wenn Sie mit Ihrem Becken shiften.

Woher kommt der Becken-Shift?

Grundsätzlich muss man unterscheiden, ob dem vorliegenden Becken-Shift eine konkrete Pathologie zu Grunde liegt, ob es sich um ein modisches Stilmittel handelt oder ob er als Ausdruck einer mangelnden Aufrichtung und Haltung entsteht.

Pathologische Ursachen

Die Ursachen eines pathologischen Becken-Shifts sind vielfältig. Zum Bespiel begünstigt eine angeborene Fehlstellung des Hüftgelenkes wie die Hüftdysplasie oder Coxa vara bzw. Coxa valga das shiftende Becken. Ursachen können aber auch in einer generellen Schwäche der kleinen Glutealmuskulatur oder einer muskulären Erkrankung wie die Muskeldystrophie liegen.
Der pathologische Becken-Shift kann in seltenen Fällen auch nach Hüftoperationen durch Schädigung des N. Glutaeus Superior auftreten, oder nach Bandscheibenvorfällen und anderen neurologischen Erkrankungen.

Der Becken-Shift als Stilmittel oder Variante des Gehens

Die meisten Menschen jedoch verwenden den Becken-Shift als eine Art modisches Stilmittel oder als eine Variante des Gehens, ohne das dem eine Pathologie zu Grunde liegt.

Zudem wirkt auch die Geh-Geschwindigkeit unmittelbar auf die Shift-Freudigkeit Ihres Beckens. Zu langsames aber auch zu schnelles Gehen mit großen Schritten kann den Becken-Shift begünstigen.
Anzustreben ist ein moderates Tempo bzw. die individuell ideale Gehgeschwindigkeit, die sich aus der eigenen Größe, Proportion und den koordinative Fähigkeiten ergibt. In dieser idealen Geschwindigkeit reichen sich ein Maximum an Leistung und Stabilität und ein Minimum an Energieverbrauch die Hand.
Damit die Zahnräder allerdings auch ineinander greifen, braucht es zur richtigen Geschwindigkeit ein gutes koordinatives Zusammenspiel des gesamten Körpers.

Den Becken-Shift als Stilmittel oder Variante des Gehens zu verwenden ist von Zeit zu Zeit in Ordnung, solange er sich nicht dauerhaft als Ausdruck unserer Haltung und Aufrichtung im Bewegungssystem manifestiert. Denn wie oben schon beschrieben führt ein dauerhafter Becken-Shift zu Fehlbelastungen an den Füßen mit unterschiedlichen Erscheinungsformen.

Der Becken-Shift als Ausdruck unserer Haltung

Oft liegt die Ursache des Becken-Shifts in einer mangelhaften Auf- und Ausrichtung des Brustkorbes gegenüber dem Becken. Becken und Brustkorb müssen im richtigen Lot zueinander stehen um stabil zu sein.

Im Stehen sollte der Brustkorb genau über dem Becken stehen.
Beim Gehen, je nachdem wie schnell, sollte der Brustkorb ein wenig vor dem Becken „stehen“.
Wenn beim Gehen jedoch der Brustkorb in sich zusammengesunken hinter dem Becken steht bzw. das Becken vorrausläuft, stimmt die muskuläre Zugspannung zwischen den beiden Polen Becken und Brustkorb nicht mehr. Folge: Das Becken wird instabil, vor allem zur Seite hin, und beginnt zu shiften.

Zwei Übungen zum Spüren und Beobachten

Übung 1
Gehen Sie doch mal mit Ihrem Becken voraus! Das bedeutet, drücken Sie bewusst Ihr Becken nach vorne, während ihr Brustkorb sich gemütlich nach hinten lehnt und einfach in sich zusammenfällt.
Beobachten Sie: Wie wirkt sich diese Haltung im Gehen auf die Beweglichkeit Ihres Beckens aus?

Übung 2
Gehen Sie nun einmal mit dem Brustkorb voraus. Ihr Brustkorb befindet sich also zu seiner vollen Größe aufgerichtet vor ihrem Becken.
Beobachten sie erneut: Wie wirkt sich diese Haltung im Gehen auf Ihre Beckenbewegung aus?

Konnten Sie den Unterschied spüren?
Wenn Sie mit Ihrem Becken voraus gehen wird es ganz weich in seiner Bewegung, vor allem in Sinne einer Shift-Bewegung.
Wenn allerdings Ihr Brustkorb voraus geht, wird Ihr Becken stabil.

Wollen Sie den Becken-Shift vermeiden, geht es also darum, sich mit dem Brustkorb aufzurichten, sich beim Gehen groß zu machen, offenen Herzens voranzuschreiten, so dass Ihr Brustkorb ein kleines Stück Ihrem Becken voraus ist.

Fehlende Stoßdämpfung in den Knien als weitere Ursache für den Becken-Shift

Ihre Knie wirken beim Gehen wie Stoßdämpfer. In dem Moment des Auftreffens Ihrer Ferse auf dem Boden, wird die Wucht des abgebremsten Körpers über eine sanfte Kniebeuge abgefangen.
Aufgrund verschiedenster Konstitutionen aber kann es sein, dass Ihre Knie diese Aufgabe nicht erfüllen und im Moment des Aufpralles gestreckt bleiben. In diesem Fall muss die Stoßwelle auf einer anderen Etage aufgefangen werden, nämlich von Ihrem Becken.
Ihr Becken tut dies mit einer geschmeidigen Seitwärtsbewegung. Voila: der Becken-Shift ist da!
Der Becken-Shift ist sozusagen eine stoßdämpfende Bewegung des Beckens vor allem bei zu harten Knien.

Therapeutisch bedeutet das:
Möchte ich den Becken-Shift auflösen, muss ich herausfinden weshalb die betroffene Person ihre Knie nicht als Stoßdämpfer verwendet. Die Ursachen dafür können wiederum vielfältig sein. Die häufigste Ursache jedoch für „harte Knie“ beim Gehen, ist eine zu weit nach hinten orientierte Körper-Längsachse durch fehlende Aufrichtung des Brustkorbes über dem Becken.

Wenn Sie möchten, wiederholen Sie doch nochmal die Übung 1 und 2 von vorhin, und beobachten dabei, wie sich diese zwei Varianten des Gehens auf Ihre Knie auswirken.

Vielleicht haben Sie nun bemerkt, alles wirkt zusammen!

Sind Ihre Knie hart beim Gehen, muss sich Ihr Becken umso weicher in der Bewegung gestalten. Sind Ihre Knie weich beim Gehen kann Ihr Becken umso stabiler sein. Eine gute Brustkorbaufrichtung begünstigt ein weiches stoßdämpfendes Arbeiten Ihrer Knie und kommt somit auch dem Becken stabilisierend zugute.
Brustkorb, Becken und Knie arbeiten biomechanisch sehr eng zusammen und stehen in unmittelbarer Abhängigkeit zueinander.

Kurz zusammengefasst

Der Becken-Shift gehört zu unserem Bewegungsrepertoire und ist zeitweilig in Ordnung, solange er sich nicht dauerhaft in unser Bewegungssystem verankert.
Sollte dies aber der Fall sein, ist es wichtig herauszufinden, ob eine Pathologie der Hüftgelenke, Muskeln und Nerven vorhanden ist, oder ob es sich um ein rein koordinatives oder haltungsbedingtes Problem handelt.

Bei einem pathologischen Becken-Shift liegt der Fokus meist auf Aufklärung, gezieltem Muskeltraining der Hüftabduktoren, Hilfsmittel-Beratung und dem Erlernen eines sinnvollen Kompensationsverhaltens.

Entsteht der Becken-Shift aus einem koordinativen oder haltungsbedingten Problem heraus, liegt die therapeutische Arbeit vor allem in der allgemeinen Aufrichtung des Brustkorbes und der Koordination der verschiedenen Körperabschnitte zueinander – im Stehen und im Gehen.

In der Einzeltherapie hier bei uns in der Fuß-Schule München können wir mit Ihnen an diesen Themen arbeiten. Wir freuen uns auf Ihren Besuch!

Ihr Shinya Morita
Physiotherapeut